Der Frühling ist ein seltsames Völkchen.

 

Darunter finden sich ebenso schüchterne Geschöpfe, wie nassforsche. Ebenso Angeber wie Tiefstapler. Dazu gehören Leisetreter wie Großkotze, Offenherzige wie Verklemmte.

So zählen etwa Gemeine Felsenbirne, Gemeine Hasel und auch die Gemeine Rosskastanie zur eher zögerlichen Sorte. Bis sie sich für das neue Jahr erwärmen können, haben sich Kugel-Ahorn aber auch Winterkirsche, Silberahorn oder Chinesische Zierquitte längst stilsicher inszeniert.

Etwas weniger früh, dafür aber umso effektheischender, betritt die Magnolie mit ihren prachtvollen Blüten das jahreszeitliche Parkett. Ewig bitten aber lässt sich die Gewöhnliche Platane: Sie wird sich erst im Mai dazu herablassen, ihr maues Gewand zu präsentieren. Auch Hängekätzchen-Weide, Honigduftender Rutenstrauch sowie Karminroter Zylinderputzer, Zuckerhut-Fichte, Zitter-Pappel und Zierliche Deutzie gehören zu den ewigen Trödlern. Als vollständig verpennt bezeichnen muss man schließlich Tulpenbaum und Rotblühende Kastanie: Während die Anderen gutgelaunt ihr jungfräuliches Blattwerk und ihre Blütenpracht zur Schau tragen, muss erst der Juni kommen, damit sie den rechten Schmuck anlegen.

Eher zur frühreifen und stürmischen Sorte dagegen gehört der Winterling. Kein Boden ist ihm zu hart, kein Wind zu eisig. Tapfer streckt er gleich zum Jahresanfang sein strahlendes Gesicht gen Himmel. Ebenso unerschütterlich ist das Schneeglöckchen, es präsentiert ihr niedliches Köpfchen selbst bei Schnee kokett, um es dann über einige Tage munter über dem noch dürren Gras zu wiegen. Und auch die tendenziell selbstverliebte Blut-Pflaume legt in jedem Jahr ihren Auftritt strategisch auf einen günstigen Zeitpunkt: Kaum zwitschern die ersten Vögel, streift sie flink ihr mädchenhaftes Kleidchen über und wiegt sich lockend im klaren Wind. Als emotional instabil muss  abschließend der Flieder bezeichnet werden – noch während er seine Blätter entfaltet, springen schon die vielen kleinen Knospen auf. Vereinen sich. Jauchzend. Duftend. Schwenken ihr liebliches Parfüm großzügig durch die Lüfte.

Ganz generell lässt sich festhalten: Stets lässt der Frühling ein wenig Maß, Struktur und Weitblick vermissen. Das mag an seinem Alter liegen. Gedanklich stellt er sich bevorzugt auf den ersten Platz, triumphiert siegesgewiss über den verschnarchten Winter. Nur um bald schon entsetzt festzustellen: Noch haben Tränendes Herz, Maiglöckchen und Fingerhut ihren Auftritt nicht gehabt. Stoisch nämlich hinter einem Schleier brütet der Sommer. Denn er weiß sicher: Auch Lavendel, Hortensie und Sonnenblume haben noch ein Wörtchen bei der Platzvergabe mitzureden. Und so zieht er sich still zurück, der Frühling.

Jedes Jahr das gleiche Theater.