Frischgebackene Eltern und Neuwagenbesitzer teilen das gleiche Schicksal: Glauben Sie nicht? Dann lesen Sie mal.
Ein Neuwagen ist eine feine Sache. Ein Neugeborenes ebenso. Beide haben Vor- und Nachteile. Beim Neuwagen liegen die Vorteile klar auf der Hand: Es ist an dem Hersteller für die ordnungsgemäße Produktion des Wagens zu sorgen. Kein wachsender Bauch, keine Ernährungsbeschränkungen, keine Rückenschmerzen und keine Schlafprobleme. Sogar aus- suchen und probefahren darf man das Modell seiner Wahl. Ist die Entscheidung erst einmal gefällt, kann man sich getrost zurücklehnen, kann bei seinen Bekannten euphorisch vom Kauf berichten, kann begeistert Bilder herumzeigen, kann träumen und sich vorfreuen. Ansonsten aber sein Leben leben. Bis der große Tag endlich da ist.
Dann kann man den Wagen beim Abholen nochmals einge- hend prüfen: kann mit der Lupe Zentimeter um Zentimeter den Lack nach Mängeln absuchen, kann ungestraft an der Stoßstange rütteln, die Fenster x-Mal hoch und runter fahren lassen, den Scheibenwischer ausprobieren. Der Händler wird aufmerksam aber entspannt daneben stehen und geduldig warten, bis man fertig ist, schließlich einsteigt und losfährt. Er wird definitiv freundlich winken zum Abschied. Ein perfekter Start also.
Und hier, ja hier, ist man mit einem Neuwagen definitiv besser beraten als mit einem Neugeborenen. Denn klar ist ja: Das passendste Modell aussuchen geht nicht. Probefahren auch nicht. Und mit der Lupe untersuchen und gegebenenfalls zurückgeben, verbietet sich. Schließlich ist man Klein-unternehmer und produziert in Eigenregie. Und das ganz ohne Herstellergarantie. Mängel sind praktisch vor- programmiert und beginnen schon beim Lack: Milchschorf, Neugeborenen-Akne, fleckige Wängelchen. Entspannt zurücklehnen: ein Scherz. Schafmöglichkeiten: eine lange
Zeit jetzt nicht. Fahren wohin man will: im Traum. Die Hupe? Hat sich verklemmt.
In Sicherheit wiegen sollten sich diejenigen nun, die sich für einen Neuwagen, nicht aber für Nachwuchs entschieden haben, trotzdem nicht. Denn: Neuwagenbesitzer und Neuge- borenen-Eltern teilen letztlich dennoch das gleiche Schicksal. Zunächst das Gute: Beide werden bewundert. Beiden wird ein hohes Maß an Aufmerksamkeit zuteil. Und beide sind stolz.
Leider ist es aber so: Was neu ist und auf was man so stolz ist, darauf will man auch stolz bleiben. Und was man gerade neu hat, das mag man ungerne teilen. Gucken ja, anfassen besser nicht. Bei Eltern bedeutet das: Hat der Nachbar auch saubere Hände, wenn er das Baby streichelt? Und weshalb muss die Zahnprothesen-Tante das Kind denn nur unbedingt auf den Mund küssen?
Warum bitteschön will es jeder tragen, betatschen, Bäuerchenmachen? Weshalb nur wird man fast hämisch auf das abstehende Ohr, die pummeligen Schenkel oder den platten Hinterkopf aufmerksam gemacht?
Für Neuwagen-Besitzer bedeutet es: Freunde wollen auch mal die Bequemlichkeit der Sitze testen – trotz öliger Jeans. Scheuen sich nicht, mit Leberbrotwurst-Händen auf die makellose Politur zu klatschen und penetrant eine Spritztour einzumahnen – um den Motor persönlich zu testen. Und, obwohl man das partout nicht will, gibt man nach. Mit ge- quälter Miene freilich, aber um der Freundschaftwillen.
Und dann, dann darf man sicher sein: Der Wagen des Freundes fährt sowieso schneller, hat das hochwertigere Navi, ist bequemer und hat natürlich den besseren Lack. Das nennt man dann Neid. Und trägt es mit Fassung. Oder, versucht es. Und nun ist der Moment gekommen, in dem Neugeborenen- Eltern im absoluten Vorteil sind. Denn: Das Baby kann man mit zu sich in die Wohnung nehmen, den Neuwagen aber nicht. Der muss im Regelfall auf der Straße stehen. Und das die ganze erste Nacht, die ganzen nächsten Wochen, die ganzen nächsten Jahre.
Und während das Baby beschützt in seinem Stubenwagen am elterlichen Bett schlummert, ist der Neuwagen dem Wetter ausgesetzt, neugierigen Passanten, ignoranten Fahrrad- und Autofahrern, sowie Katzen, Hunden, Vögeln und Mardern. Hat man Glück und ergattert einen Parkplatz in Sichtweite und unter einer Laterne, fällt die nächtliche Bewachung leichter. Dann kann man sich sogar den Wecker stellen und im Stundentakt aus dem Fenster nach dem Rechten schauen. Kann streunende Hunde wegschimpfen, Tauben wegwedeln, Passanten wegzischeln. Und ganz generell kann man außerdem auch noch die Seitenspiegel einklappen und dicht gequetscht am Trottoir parken. Mehr aber geht nicht.
Dann heißt es: Zustand annehmen. Sich allen Ängsten und Widrigkeiten zum Trotz freuen und stolz bleiben, das Leben genießen. An das Gute glauben. Und mit der Realität leben lernen. Denn: Mit Kindern und mit Neuwagen ist es letztlich doch das Gleiche – am Anfang ist es beängstigend-schön und wenn alles gut geht, also dem Lauf der Dinge folgt, lernt bald man zu leben mit Blessuren und mit Macken: Für die einen gibt es Pflaster, für die anderen die Vertragswerkstatt.